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6. Staat und Stadt

„Staat und Stadt waren keine synonymen Worte bei den Alten. Der Staat war die religiöse und politische Vereinigung der Familien und Tribus; die Stadt war der Vereinigungsort, die Wohnstätte und ganz besonders das Heiligtum dieser Verbin­dung. …

Sobald einmal die Familien, die Phratrien und die Tribus sich zu einigen und denselben Kult auszuüben beschlossen hatten, gründete man die Stadt, damit sie das Heiligtum dieses gemein­schaftlichen Kult sei. So war die Gründung einer Stadt immer ein religiöser Akt.

Weinfest aus Schröders Sammlung. Gemälde von Lawrence Alma-Tadema.

Wir werden als erstes Beispiel die Stadt Rom selbst anführen. …

Ist der Tag der Gründung angebrochen, so bringt er [Romulus] zuerst ein Opfer. Seine Gefährten sind rings um ihn versammelt; sie zünden aus Gestrüpp ein Feuer an, und jeder springt durch die leichte Flamme. Die Erklärung dieses Brau­ches liegt darin, daß das Volk zu dem Akte, der sich vollziehen wird, rein zu sein hat: Die Alten glaub­ten nämlich, sich von jedem physischen oder mo­ralischen Makel rein waschen zu können, indem sie durch die heilige Flamme sprangen.

Romulus markiert die Grenzen von Rom. Gemälde von Cesari, Guiseppe (1568-1640).

Sobald diese einleitende Zeremonie das Volk zum großen Gründungsakte vorbereitet hat, gräbt Romulus eine kleine Grube von kreisartiger Form. Er wirft eine Scholle Erde hinein, die er von der Stadt Alba gebracht hat. Darauf wirft jeder seiner Gefährten, sich nähernd, gleich ihm etwas Erde hin, die er von dem Lande, aus dem er kommt, gebracht hat. Dieser Brauch ist bemerkenswert, und er enthüllt uns bei diesen Menschen einen Gedanken, der Erwähnung verdient. Bevor sie auf den Palatin kamen, bewohnten sie Alba, oder irgend eine andere der nachbarlichen Städte. Hier war ihr Herd; hier hatten ihre Väter gelebt und waren begraben worden. Die Religion verbot nun, die Erde zu verlassen, wo der Herd aufgestellt war und wo die göttlichen Vorfahren ruhten. So mußte denn eine List ersonnen werden, um keinerlei Frevel zu begehen, und all diese Männer trugen unter dem Symbol einer Schaufel Erde, den heili­gen Boden mit sich, wo ihre Vorfahren begraben und an den ihre „Manen“ (Seelen der Vorfahren)  gebunden waren. Der Mensch konnte nur seinen Wohnort wechseln, wenn er seinen Boden und seine Vorfahren mit sich führte; dieser Brauch mußte ausgeübt werden, damit er, auf den neu adoptierten Platz hindeutend, sagen könne: Das hier ist noch die Erde meiner Väter, terra patrum, patria; hier ist meine Heimat, denn hier sind die Manen meiner Familie.1

1 Idem, S. 153, 155 und 156.

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Der Adel und die vergleichbaren traditionellen Eliten in den Ansprachen Pius’ XII. an das Patriziat und an den Adel von Rom von Plinio Corrêa de Oliveira, Dokumente VII, No. 6.

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