Über die Rolle der Familie beim Aufbau der feudalen Gesellschaftsordnung schreibt der Historiker Franz Funck-Brentano, Mitglied des Institut Français, in seinem berühmten Buch Das Ancien Régime:
„Niemand wird bestreiten, daß das Ancien Régime seine Wurzeln in der feudalen Gesellschaft hat. Der Feudalismus selbst entstand in jener erstaunlichen Epoche, die von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts reicht, aus der französischen Familienorganisation, die ihre privaten Institutionen nach und nach auf das öffentliche Leben ausweitete.
Im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts hatten eine ganze Reihe von Überfällen der Barbaren, Normannen, Hunnen und Sarazenen das Land in die Anarchie gestürzt, der alle Institutionen zum Opfer gefallen waren. Der Bauer verließ sein Ackerland, um der Gewalt zu entfliehen; das Volk versteckte sich in den tiefsten Wäldern und in unzugänglichen Sümpfen oder suchte seine Zuflucht im Hochgebirge. Das Band, das die Bewohner eines Landes einte, war zerrissen; die überlieferten Bräuche und Gesetze waren zerschlagen; niemand mehr regierte die Gesellschaft.
Inmitten dieser Anarchie ging von der einzigen noch heilen organisierten Kraft, von der einzigen Zuflucht, die niemand hatte besiegen können, weil ihre Fundamente in das menschliche Herz hineinreichten, nämlich von der Familie, der Wiederaufbau der Gesellschaft aus.
Mitten im Sturm widersteht die Familie, gewinnt an Kraft und wächst zusammen. Da sie ihren Bedürfnissen nachkommen muß, schafft sie sich die für die landwirtschaftliche und mechanische Arbeit und für die bewaffnete Verteidigung notwendigen Organe. Da es den Staat nicht mehr gibt, tritt an seine Stelle die Familie. Das gesellschaftliche Leben dreht sich um das Heim, das Leben in Gemeinschaft beschränkt sich auf den Hausbereich und die dazugehörigen Güter, beschränkt sich auf die Hauswände und was darum herumliegt.
Es handelt sich um eine nachbarliche Gesellschaftsform, die von den restlichen Gruppen desselben Musters jedoch völlig abgeschnitten ist.
In den Anfangszeiten unserer Geschichte erinnert der Familienchef an den früheren pater familias. Er befehligt die Gruppen von Menschen, die sich um ihn herum bildet und seinen Namen trägt, er organisiert die gemeinsame Verteidigung und verteilt die Arbeit je nacht Fähigkeiten und Bedürfnissen eines jeden. Er herrscht – so heißt es in den Texten jener Zeit – als absoluter Herr. Man nennt ihn ‚sire’. Seine Gemahlin, die Familienmutter, wird ‚Dame’, ‚Domina’, genannt.
So wurde die Familie für den Menschen zum Vaterland, und die lateinischen Texte jener Zeit nennen sie sogar so, ‚Patria’. Ihr gehört die zärtliche Zuneigung des einzelnen um so mehr, als sie lebendig und konkret vor seinen Augen liegt. Ihre Macht, aber auch ihre Milde wird unmittelbar erfahren als fester, geliebter Panzer, als notwendiger Schutz. Ohne Familie könnte der Mensch nicht bestehen.
Daraus entsteht das Gefühl der Solidarität, das die Familienmitglieder miteinander verbindet, und das sich unter dem Wirken einer souveränen Tradition weiterentwickelt und nach und nach genauere Umrisse annimmt“.1
1 a.a.o., Americ.- Edit., Rio de Janeiro, 1936, Bd. I, S. l2-l4.
Der Adel und die vergleichbaren traditionellen Eliten in den Ansprachen Pius’ XII. an das Patriziat und an den Adel von Rom von Plinio Corrêa de Oliveira, Dokumente VIII.