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Ansprache vom 15. Januar 1949

Die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel sind für die christlichen Familien eine stets mit Freude benützte Gelegenheit, die Bande der Liebe enger zu knüpfen und die gegenseitige Zuneigung durch Glückwünsche und durch die wechselseitige Zusicherung von Gebeten zu bekunden. Diese Freude erleben wir heute, da Ihr nach altem Brauch gekommen seid, geliebte Söhne und Töchter, um Uns Eure ergebene Huldigung darzubringen, die Euer erlauchter und junger Sprecher in glücklicher Weise vorgetragen hat.

ChristmasDoch die Glieder einer Familie, die dieses Namens würdig ist, begnügen sich nicht damit, alte und abgebrauchte Glückwunschformeln miteinan­der zu wechseln. Jedes Jahr frischt der Vater seine gewohnten Empfehlungen auf, indem er sie veran­schaulicht und vervollständigt durch jene Warnun­gen, welche die besonderen Forderungen der Stunde eingeben. Die Kinder dagegen prüfen ihr Betragen, um ihre Folgsamkeit gegenüber den vä­terlichen Ratschlägen – wenn es der Fall ist – aufrichtig beteuern zu können.

So machen es auch Wir. Jedes Jahr erinnern Wir Euch an die vielfältigen, grundlegenden und unwandelbaren Pflichten, die Euch Eure Stellung in der Gesellschaft aufer­legt. Im letzten Jahr haben Wir sie mit der von den Umständen erforderten Kürze umrissen. Wir zwei­feln nicht daran, daß Ihr Euer Gewissen erforscht und Euch gefragt habt, mit welcher Treue und auf welche praktische, konkrete und wirksame Weise Ihr im Lauf des verflossenen Jahres Geistesstärke, Tatbereitschaft und großmütiges Festhalten an den Grundsätzen der christlichen Lehre und des christ­lichen Lebens gemäß Eurem eigenen Stand unter Beweis gestellt habt.

Ohne Zweifel bindet diese dreifache Pflicht alle und allezeit. Nichtsdestoweniger stuft sie sich ab und nimmt eine verschiedene Gestalt an je nach den stets wechselnden Ereignissen und den beson­deren Verhältnissen jener, denen sie obliegt.

Death of Godfrey of Bouillon in Jerusalem

Der Tod von Gottfried von Bouillon in Jesrusalem.

Die Vorsehung hat einem jeden in der mensch­lichen Gesellschaft eine besondere Aufgabe zuge­wiesen. Sie hat deshalb auch ihre Gaben geteilt und ausgeteilt. Nun aber sollen diese Gaben oder Talente ihre Frucht bringen. Und Ihr wißt, daß der Herr Rechenschaft fordern wird von jedem über die Art, wie sie verwaltet worden sind, und daß er nach dem erreichten Gewinn richten und die guten und die schlechten Knechte voneinander unterscheiden wird [vgl. Matt. 25, 14 ff. und Luk. 16,2]. Die Härte der Zeit könnte auch Euch in die Zwangslage ver­setzen, wie so viele andere zu arbeiten, um den Lebensunterhalt zu erwerben. Doch selbst dann hättet Ihr infolge Eurer Herkunft besondere Gaben und Pflichten inmitten Eurer Mitbürger.

Es ist wohl wahr, daß in der neuen Verfassung Italiens „die Adelstitel nicht anerkannt werden“ (unbeschadet natürlich gemäß Art. 42 des Konkor­dats, soweit es den Heiligen Stuhl betrifft, jener, die von den Päpsten verliehen sind oder in Zukunft verliehen werden). Doch die Verfassung hat die Vergangenheit nicht annullieren können, noch die Geschichte Eurer Familien. Deshalb schaut und beobachtet auch heute noch das Volk – teils wohl­wollend, teils ablehnend, teils mit ehrfürchtigem Vertrauen, teils mit feindlichen Gefühlen –, welches Beispiel Ihr in Eurem Leben gebt. An Euch liegt es also, dieser Erwartung zu entsprechen und zu zeigen, in welcher Weise Euer Verhalten und Eure Taten der Wahrheit und der Tugend gleichförmig sind, besonders in jenen Punkten, die Wir soeben aus Unseren letztjährigen Empfehlun­gen ins Gedächtnis gerufen haben.

Geistesstärke haben alle nötig, besonders in unseren Tagen, um die Leiden mutig zu ertragen, um die Schwierigkeiten im Leben siegreich zu überwinden und um die eigene Pflicht beständig zu erfüllen. Wer muß nicht leiden? Wer muß nicht Kummer tragen? Wer muß nicht kämpfen? Nur jener, der sich selbst aufgibt und flieht. Ihr aber habt weniger als so viele andere das Recht, Euch selbst aufzugeben und zu fliehen. Heute sind die Leiden, die Schwierigkeiten und die Nöte für ge­wöhnlich allen Klassen, allen Ständen, allen Fami­lien und allen Personen gemeinsam. Und wenn einige davon frei sind, im Überfluß und im Vergnü­gen schwimmen, so müßte dies sie dazu antreiben, das Elend und die Not der anderen mit auf sich zu nehmen. Wer könnte Zufriedenheit und Ruhe haben, wer würde nicht vielmehr sich unbehaglich fühlen und in Scham erröten, wenn er in der Muße und in der Ausgelassenheit, im Luxus und im Schwelgen lebte, während ringsum so gut wie überall Trübsal herrscht?

 Die kranke Pilgerin von Ferdinand Georg Waldmüller

Die kranke Pilgerin von Ferdinand Georg Waldmüller

Tatbereitschaft. In der großen persönlichen und sozialen Solidarität muß jeder bereit sein, für das Wohl aller zu arbeiten, sich zu opfern und sich hinzugeben. Der Unterschied liegt nicht in der Tatsächlichkeit der Verpflichtung, sondern in der Art, ihr zu genügen. Und ist es etwa nicht wahr, daß jene, die über mehr Zeit und reichere Mittel verfü­gen, die Dienstbeflissensten und Diensteifrigsten sein sollten? Wenn Wir von den Mitteln sprechen, so meinen Wir damit nicht lediglich und in erster Linie den Reichtum, sondern alle Gaben des Ver­standes, der Kultur, der Erziehung, des Wissens, des Einflusses, die vom Schicksal einzelnen Be­vorzugten gegeben werden, und zwar nicht aus­schließlich zu ihrem eigenen Vorteil oder zur Schaffung einer unheilbaren Ungleichheit unter Brüdern, sondern zum Wohl der ganzen sozialen Gemeinschaft. In all dem, was Dienst ist für den Nächsten, für die Gesellschaft, für die Kirche und für Gott, müßt Ihr immer die ersten sein. Hier ist Euer wahrer Ehrenrang. Hier ist Euer adeligstes Vorrecht.

Großmütiges Festhalten an den Grundsätzen der christlichen Lehre und des christlichen Lebens. Diese sind ein und dieselben für alle. Denn es gibt weder zweierlei Wahrheit noch zweierlei Gesetz. Reich und arm, groß und klein, hoch und niedrig, sie alle sind in gleicher Weise verpflichtet, durch den Glauben ihren Verstand ein und demselben Dogma, durch den Gehorsam ihren Willen ein und derselben Moral zu unterwerfen. Das gerechte Urteil Gottes wird jedoch jenen gegenüber viel strenger sein, die mehr empfangen haben, die besser imstande sind, die einzige allein wahre Lehre kennenzulernen und im Alltag in die Tat umzusetzen, die durch ihr Beispiel und durch ihr Ansehen die anderen leichter auf den Weg der Gerechtigkeit führen oder sie auf den verhängnis­vollen Pfaden des Unglaubens und der Sünde ins Verderben stürzen können.

Queen_Osburga

Königin Osburga liest ihrem Sohn Alfred, dem späteren Alfred dem Großen, vor.

Geliebte Söhne und Töchter! Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie notwendig diese drei inneren Kräfte sind. Es hat außerdem die bemerkenswerten Ergebnisse an den Tag gebracht, die durch ihre rechte Anwendung erzielt werden können. Nun kommt es vor allem darauf an, daß die Aktion keine Unterbrechung oder Verlangsamung erfährt, sondern sich mit Beständigkeit und Festigkeit ent­faltet und belebt. Deshalb haben Wir mit besonde­rer Freude den Worten Eures Sprechers entnommen, wie tief in Euch das Verständnis für die heu­tigen sozialen Übel und wie entschieden der Entschluß ist, dazu beizutragen, daß nach Gerech­tigkeit und Liebe Abhilfe geschaffen wird.

Festigt also in Eurem Geist die Entschlossen­heit, dem, was Christus, die Kirche, die Gesell­schaft mit Vertrauen von Euch erwarten, voll zu entsprechen, damit Ihr am Tag der großen Vergel­tung das beseligende Wort des höchsten Richters vernehmen dürft: „Guter und getreuer Kriecht … geh ein in die Freude deines Herrn“ [Math. 25,21].

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Dies ist der Wunsch und die Bitte, die Wir für Euch dem Jesuskind vortragen, während Wir aus innerstem Herzen Euch, Euren Familien und allen Personen, die Euch lieb und teuer sind, Unseren väterlichen Apostolischen Segen erteilen. [1]

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[1] Utz-Groner, S. 1627-1631.

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