≡ Language Options ≡ Menu

Ansprache vom 11 Januar 1943

Wie könnten Wir, geliebte Söhne und Töchter, auf die heißen Glückwünsche, die das erhabene Wort Eures erlauchten Sprechers in eurem Namen Uns dargebracht hat, nicht antworten mit den Wünschen, die Wir für Euch zu Gott empor senden? In diesem Augenblick empfinden Wir einen süßen Trost, eine tiefe Freude, die nicht von der Traurigkeit der gegenwärtigen Stunde erstickt wird. Denn in Euch sehen Wir in gewissem Sinn Unser ganzes geliebtes Rom vor Uns vertreten. Zu einer so überragenden Stellung hat Euch die Hand der göttlichen Vorsehung im Laufe der Geschichte erhoben. Ihr seid Euch dessen bewußt und empfindet zugleich einen berechtigen Stolz und ein Gefühl schwerer Verantwortung.

Durch das Vorrecht der Geburt hat Euch Gottes Ratschluß hingestellt wie eine Stadt auf einem Berg. Ihr könnt also nicht verborgen bleiben [vgl. Matth. 5,14]. Sodann hat er euch bestimmt, mitten im zwanzigsten Jahrhundert zu leben, gegenwärtig in Tagen der Entbehrung und der Not. Wenn Ihr noch immer auf hoher Warte steht und von hoher Warte aus gebietet, so geschieht es nicht mehr nach der Art Eurer Vorfahren. Eure Ahnen saßen auf ihren Felsen und in ihren einsamen, schwer zugänglichen, gewaltig befestigten Burgen, in Türmen und Schlössern, die über ganz Italien, auch über die Umgebung Roms zerstreut sind. Dort hatten sie eine Zuflucht gegen die Angriffe der Nebenbuhler und Missetäter. Dort planten und schufen sie die bewaffnete Abwehr. Von dort stiegen sie hinab, um in der Ebene zu kämpfen. Betrachtet in der Geschichte die großen Namen: die Namen, die Ihr tragt, die berühmt geworden sind dank kriegerischer Tapferkeit, dank sozialer Verdienste, die jedes Lobes wert und von großem Nutzen waren, dank religiösen Eifers und anerkannter Heiligkeit! Welche und wie viele Ehrenkränze umwinden diese Namen! Das Volk hat sie besungen und verherrlicht durch die Stimme seiner Chronisten und Dichter, durch die Hand seiner Künstler. Es hat aber auch verurteilt und verurteilt allezeit mit einer unerbittlichen Strenge, die mitunter bis zur Ungerechtigkeit geht, ihre Irrtümer und Freveltaten. Wenn Ihr den Grund dafür sucht, so findet Ihr ihn in dem hohen Amt, in der verantwortlichen Stellung, die sich nicht verträgt mit Sünden und Fehlern, ja noch nicht einmal mit einer allgemein üblichen Ehrbarkeit oder einer bloßen, gewöhnlichen Mittelmäßigkeit.

Avila

Avila

Die Verantwortung, die Ihr, geliebte Söhne und Töchter, und der Adel überhaupt, dem Volke gegenüber tragt, ist heute nicht weniger schwer als jene, die – wie die Geschichte lehrt – schon auf Euren Vorfahren in vergangenen Jahrhunderten gelastet hat.

Wenn Wir über die Völker, die eine zeitlang einig und einträchtig den christlichen Glauben und die christliche Kultur pflegten, einen Blick werfen, so sehen Wir heute weithin religiöse und sittliche Trümmerfelder, so daß es im alten christlichen Abendland nur sehr wenige Gegenden gibt, in denen die Lawine der geistigen Umwälzung keine Spuren der Verwüstung hinterlassen hat.

Nicht als ob nun alles und alle dadurch schon zermalmt oder erdrückt worden wären! Viehmehr zögern wir nicht zu behaupten, daß selten im Laufe der Geschichte die Lebendigkeit und Entschlossenheit des Glaubens, die Hingabe an Christus und die Bereitschaft, die Sache Christi zu verteidigen, in der katholischen Welt so deutlich sichtbar und so mächtig waren wie heutzutage, und zwar in einem so hohen Maße, daß man in mehr als einer Hinsicht einen Vergleich mit den ersten Jahrhunderten der Kirche wagen darf. Allerdings zeigt sich bei diesem Vergleich auch die Kehrseite der Sache. Die christliche Front stößt auch heute gegen eine nichtchristliche Kultur, ja sogar in unserem Fall gegen eine Kultur, die sich von Christus entfernt hat. Dadurch ist die Lage gegenüber den ersten Jahrhunderten des Christentums erheblich schwieriger. Die Entchristlichung ist heute so stark und kühn, daß sie es der geistigen und religiösen Atmosphäre nur zu oft schwer macht, sich auszubreiten und sich – völlig gefeit – von ihrem giftigen Hauch frei zu halten.

Kardinal von Galen in den Ruinen von Münster-Kathedrale am 16. März 1946.

Kardinal von Galen in den Ruinen von Münster-Kathedrale am 16. März 1946.

Dennoch ist es angebracht, daran zu erinnern, daß dieses Abgleiten in den Unglauben und in die Gottlosigkeit nicht von unten, sondern von oben ausgegangen ist, das heißt von den führenden Klassen, von den höheren Schichten, vom Adel, von den Denkern und Philosophen. Wohlgemerkt, Wir sprechen hier nicht vom gesamten Adel und noch weniger vom römischen Adel, der sich weithin durch seine Treue zur Kirche und zum Apostolischen Stuhl ausgezeichnet hat. Dafür legen ja die beredten und kindlich ergebenen Worte, die Wir soeben vernahmen, von neuem strahlend Zeugnis ab. Wir sprechen vom europäischen Adel im allgemeinen. Zeigt sich während der letzten Jahrhunderte in Europa etwa nicht eine innere Entwicklung, die sozusagen horizontal und vertikal, in waagrechter und in senkrechter Richtung, den Glauben immer weiter niederriß und untergrub; eine Entwicklung, die zu jener Zerstö­rung führte, die Uns heute entgegentritt in unge­heuren Massen von Menschen, die entweder die Religion abweisen oder bekämpfen, zumindest aber gegenüber dem Übernatürlichen und dem Christentum von einer tiefsitzenden und absonder­lich begründeten Zweifelssucht beseelt und irrege­leitet sind?

Vorhut dieser Entwicklung war die sogenannte protestantische Reformation, in deren Unterneh­mungen und Kriegen ein großer Teil des europä­ischen Adels sich von der Kirche trennte und deren Besitztümer an sich riß. Doch der Unglaube im eigentlichen Sinn verbreitete sich im Zeitalter der Französischen Revolution. Die Geschichtsschrei­ber bemerken, daß der Atheismus – auch in der Verkleidung des Deismus – damals rasch bei der hohen Gesellschaft in Frankreich und anderswo um sich griff. An Gott und an den Erlöserglauben, war in jener allen Sinnesfreuden hingegebenen Welt geradezu lächerlich und für die gebildeten, neuigkeits- und fortschrittshungrigen Geister un­passend geworden.

Die Tafelrunde, Gemälde von Adolph von Menzel. König Friedrich II in Sanssouci mit Voltaire.

Die Tafelrunde, Gemälde von Adolph von Menzel. König Friedrich II in Sanssouci mit Voltaire.

In den meisten „Salons“ der größten und fein­sten Damen, wo die kühnsten Probleme der Reli­gion, Philosophie und Politik erörtert wurden, be­trachtete man jene Schriftsteller und Philosophen, die umstürzlerische Lehren begünstigten, als den schönsten und begehrtesten Schmuck jener welt­männischen Zirkel. Die Gottlosigkeit war beim hohen Adel Mode. Und die beliebtesten Schrift­steller wären bei ihren Angriffen gegen die Reli­gion nicht so keck gewesen, wenn sie nicht den Beifall und die Ermunterung der vornehmsten Ge­sellschaft erfahren hätten. Nicht als ob der Adel und die Philosophen sich allesamt und geradewegs die Entchristlichung der Massen zum Ziel gesetzt hätten! Im Gegenteil, als Beherrschungsmittel in der Hand des Staates sollte die Religion im einfa­chen Volk erhalten bleiben. SieF selbst aber erach­teten und fühlten sich über den Glauben und seine sittlichen Gebote erhaben. Dies war natürlich eine Politik, die – schon vom psychologischen Stand­punkt aus betrachtet – sich sehr schnell als kurzsich­tig und verhängnisvoll erwies. Mit unerbittlicher Logik versteht das Volk – stark im Guten, schrecklich im Bösen – die praktischen Schlüsse aus seinen Beobachtungen und Urteilen zu ziehen, mögen diese nun richtig oder falsch sein. Nehmt die Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte zur Hand! Sie zeigt und beweist Euch, welche Schäden für den Glauben und die gute Sitte das von oben gegebene schlechte Beispiel, die religiöse Fri­volität der oberen Schichten, der offene Kampf gegen die geoffenbarte Wahrheit angerichtet haben.

Welchen Schluß sollen Wir nun aus diesen Lehren der Geschichte ziehen? Daß die Rettung von dort ausgehen muß, wo die Zerrüttung ihren Anfang nahm. Im Volk die Religion und die gute Sitte zu erhalten, ist an und für sich nicht schwer, wenn die oberen Klassen mit ihrem guten Beispiel vorangehen und öffentliche Verhältnisse schaffen, die das christliche Leben nicht übermäßig schwer, sondern nachahmbar und beglückend machen. Ist das etwa nicht Eure Pflicht, geliebte Söhne und Töchter, die Ihr kraft des Adels eurer Familie und der Ämter, die Ihr nicht selten bekleidet, zu den führenden Klassen gehört? Die große Sendung, die Euch und mit Euch nicht wenigen anderen be­stimmt ist, mit der Erneuerung oder Vervollkommnung des Privatlebens bei Euch selbst und in Eurem Haus anzufangen und dann jeder an seinem Platz und zu seinem Teil Euer Möglichstes zu tun, eine christliche Ordnung im öffentlichen Leben aufzubauen, – diese große Sendung gestattet weder Aufschub noch Verzögerung. Es ist fürwahr eine höchst edle und verheißungsreiche Sendung in einem Augenblick, in dem als Gegenwirkung wider den verheerenden und erniedrigenden Ma­terialismus ein neuer Durst nach den geistigen Werten unter den Massen, wider den Unglauben aber eine neue Aufgeschlossenheit der Geister für religiöse Dinge sichtbar wird. Dies sind gewiß Zeiterscheinungen, die hoffen lassen, daß der Tief­punkt des inneren Zerfalls nunmehr überwunden und überschritten ist. Euch also gebührt die Ehre, durch das Licht und den Anreiz des über jede Mittelmäßigkeit sich erhebenden guten Beispiels sowie durch gute Taten dazu beizutragen, daß diese mutigen Unternehmungen und diese Bestrebungen zum Besten der Religion und der menschlichen Gesellschaft glücklich zum Ziel gelangen.

St. Elisabeth von Thüringen. Gemälde von Marcos da Cruz.

St. Elisabeth von Thüringen. Gemälde von Marcos da Cruz.

Was sollen Wir sagen von der Wirkkraft und Macht der großmütigen Seelen aus Eurem Kreis, die – durchdrungen von der erhabenen Größe ihrer Berufung – ihr Leben ganz und gar der Aufgabe geweiht haben, das Licht der Wahrheit und des Guten zu verbreiten, von den grands seigneurs de la plume – „großen Herren der Feder“, wie man sie nennt, von den großen Herren der geistigen, sittlichen und religiösen Aktion? Unsere Stimme vermag sie nicht gebührend genug zu preisen. Ihrer ist das hohe Lob guter und getreuer Knechte, die mit den ihnen anvertrauten Talenten außergewöhn­lich reiche Frucht bringen.

Wir möchten gerne hinzufügen, daß der Adel sich nicht damit zufrieden geben darf, wie ein Leuchtturm zu strahlen, der zwar den Seefahrern Licht gibt, sich selbst aber nicht von der Stelle rührt. Eure Würde besteht darin, von der Höhe des Berges, auf die Ihr gestellt seid, Ausschau zu halten, stets bereit, in der tiefen Ebene alle Qualen, Leiden und Nöte zu erspähen, um alsbald hinabzu­steigen, eifrig darauf bedacht, als mitleidige Tröster und bereite Helfer sie zu lindern. Welch ein weites Feld öffnet sich in diesen unheilvollen Zeiten für die Hingabe, den Eifer und die Nächsten­liebe des Patriziats und des Adels! Welche und wie viele Tugendbeispiele erlauchter Namen werden Eurem Herzen dabei Mut einflößen! Gewiß, wenn die Verantwortung angesichts der Not groß ist, dann ist die Tat des hochherzigen Helfers umso glorreicher. Auch werdet Ihr dadurch der Erhabenheit Eures Standes immer mehr gleich­kommen. Denn der himmlische Vater, der Euch auf außerordentliche Weise zur Zuflucht, zum Licht und zur Hilfe der kummervollen Welt bestimmt hat, wird nicht verfehlen, Euch in Fülle und Über­fülle Gnade zu schenken, damit Ihr Eurer erhabe­nen Berufung würdig entsprechen könnt.

Fürwahr, Ihr habt wirklich eine erhabene Beru­fung, in der sich der christliche Geist und das Standesbewußtsein vereinen und Euch dazu drängen, jene sich selbst verströmende Liebe aus­strahlen zu lassen, die Euch Verdienste und Dank­barkeit erwirbt und anhäuft bei den Menschen, größere und edlere Verdienste aber bei Gott, dem gerechten Vergelter des Guten, das er als ihm selbst getan betrachtet, obschon es dem Nächsten getan worden ist. Hört inzwischen nicht auf, Euer Mög­lichstes zu tun, damit durch Euer großmütiges Wirken nicht nur Euer gesegneter Name Ehre ernte, sondern das Volk den christlichen Geist rühme, der Euer Leben und Euer Tun beseelt und Euch zu Gott erhebt. Während Wir nun von Gott, geliebte Söhne und Töchter, jede himmlische Gunst herabrufen auf Eure Familien, auf Eure Kinder mit dem unsagbar süßen Lächeln, auf Eure Knaben im frohen Jugendalter, auf die kühnen Jugendlichen mit der mutigen Wa­gelust, auf die reifen Männer mit der männlichen Entschlossenheit, auf die Greise mit den weisen Ratschlägen, die Eure erlauchten Familien erfreu­en und erhalten, und auf die lieben und tapfern Abwesenden, den Gegenstand Eurer sorgenvollen Gedanken und Eurer besonderen Zuneigung –, erteilen Wir Euch aus innerster Seele Unseren vä­terlichen Apostolischen Segen.[1]

[1] Utz-Groner, S. 1602-1608.

200px-Signature_of_Pope_Pius_XII.svg_

Der Adel und die vergleichbaren traditionellen Eliten in den Ansprachen Pius’ XII. an das Patriziat und an den Adel von Rom von Plinio Corrêa de Oliveira

Kaufen Sie das Buch

Kaufen Sie das Buch

{ 0 comments… add one }