Unserem Herr Jesus Christus ähnlich zu werden, war das Ideal des Mittelalters. Der mittelalterliche Mensch sehnte sich danach, mit ihm so vollständig wie möglich verbunden zu sein, sich ganz in Ihm zu verlieren.
Diese Gefühle waren nicht nur liebevolle Impulse der Bewunderung und Ehrfurcht. Der mittelalterliche Mensch verfolgte sie bis zur letzten Konsequenz; er erkannte, dass Christus in all seiner Herrlichkeit auf die Erde hätte kommen können, dass er strahlend vor allen Völkern hätte erscheinen können. Dennoch hatte er sich für den härtesten und traurigsten, für einen furchterregend schwierigen Weg entschieden, seine Mission für unser Heil durchzuführen. Von liebevollem Mitleid erfüllt war der mittelalterliche Geist „durchdrungen von der Idee Christi und seines Kreuzes.”367
Der mittelalterliche Geist der Anima Christi
Das Gebet Anima Christi – ein Lieblingsgebet des heiligen Ignatius von Loyola – drückt die intensive mittelalterliche Sehnsucht nach der Vereinigung mit Christus aus:
Seele Christi, heilige mich,
Leib Christi, rette mich,
Blut Christi, tränke mich,
Wasser aus der Seite Christi, reinige mich,
Leiden Christi, stärke mich,
O guter Jesus, erhöre mich.
Birg in deinen Wunden mich,
von dir lass nimmer scheiden mich,
vor dem bösen Feind beschütze mich.
In meiner Todesstunde rufe mich,
zu dir kommen heiße mich,
mit deinen Heiligen zu loben dich
in deinem Reiche ewiglich Amen.
Der mittelalterliche Mensch war sich stets bewusst, dass der Herr wusste, was auf ihn zukam und dennoch seine Leiden und das Kreuz freudig auf sich nahm, obwohl seine Agst so groß war, dass er in seiner Todesangst betete: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.” (Lk 22,42).
367 Huizinga, Waning of the Middle Ages, 190.
Rückkehr zur Ordnung: Von einer hektischen, getriebenen Wirtschaft zu einer organischen christlichen Gesellschaft, von John Horvat II