Im Jahre 1634 legte Papst Urban VIII. mit dem Brevier Coelestis Jerusalem Cives die Maßstäbe zur Heiligsprechung einer Person fest, und diese sind in ihrem Wesensgehalt bis heute gleichgeblieben.
Im Hinblick auf die Diener Gottes, denen mit Duldung der Kirche nach dem Pontifikat Papst Alexanders III. öffentliche Ehrerbietung teilgeworden war, sahen die Verfassungsgrundsätze Urbans VIII. die Bestätigung des Kultes oder eine gleichwertige Heiligsprechung vor, „durch Sentenz, durch welche der Oberste Hirte anordnet, einen Diener Gottes in der universellen Kirche wie einen Heiligen zu verehren, genauer, einen Diener, für den zwar kein regulärer Prozeß eingeleitet worden ist, der aber seit unvordenklichen Zeiten eine öffentliche Verehrung erfährt“.1 Diese Vorgehensweise galt auch für ähnliche Fälle nach der Zeit der Verfassungsgrundsätze Urban VIII.
So kann man also erst seit dem Jahre 993 – dem Datum der ersten päpstlichen Heiligsprechung – eine Liste jener Heiligen aufstellen, die vom Heiligen Stuhl ernannt worden sind. Doch ist diese Liste noch nicht vollständig; es fehlen Unterlagen von ganzen Epochen. Außerdem enthält diese Liste nicht alle Heiligen, denn zwischen 993 und 1234 machten die Bischöfe – wie gesagt – mit der Bestätigung der Kulte weiter. Von daher waren viele Personen Gegenstand öffentlicher Verehrung ohne jeglichen Eingriff aus Rom.
Erst ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts kann man sicher sein, daß die Liste der Heiligen und Seligen (eine von der Gesetzgebung Papst Urbans VIII. anerkannte Unterscheidung) lückenlos ist.2
Außer der Schwierigkeit, eine vollständige Heiligenliste aufzustellen, ergibt sich die Frage, welche der bisher gewonnenen Namen dem Adel zuzurechnen sind.
In der Tat ist es nicht immer einfach, die adelige Herkunft einer Person mit Gewißheit auszumachen. Einerseits war nämlich die Entwicklung des Adelsbegriffs fortschreitend und höchst organisch und geprägt von den Eigenschaften verschiedener Völker und Regionen, was gelegentlich eine genaue Antwort auf die Frage erschwert, wem denn nun die Ehre der Zugehörigkeit zum Adelsstand gebührt; andererseits gibt es erhebliche Schwierigkeiten bei der zuverlässigen Bestimmung der Vorfahren einer Person. Übrigens ist genau das der Punkt, der viele dazu führte, führt und immer wieder führen wird, sich über lange Zeit hinweg der Nachforschung nach der genealogischen Herkunft verschiedener Personen zu widmen. Es ist also oft schwierig, die gesellschaftliche Herkunft eines Heiligen auszumachen.
Im Hinblick auf all diese Probleme ging es darum, Forschungsquellen auszuwählen, die so vollständig wie möglich, gleichzeitig aber auch gänzlich glaubwürdig waren, um eine Statistik aufzustellen, welche annähernd genau die Anzahl der Adeligen unter den Heiligen widergibt.
Die Wahl fiel daher auf den Index ac Status Causarum,3 der eine amtliche Veröffentlichung der Kongregation für die Angelegenheiten der Heiligen ist, Nachfolger der vormaligen Ritenkongregation. Es handelt sich um „eine außerordentliche und weitumfassende Ausgabe zur IV. Jahrhundertfeier der Kongregation, welche alle von der Kongregation zwischen 1588 und 1988 behandelten Prozesse enthält, sowie zusätzlich die älteren, im Geheimarchiv des Vatikans aufbewahrten Prozesse“.
Das Werk enthält zudem mehrere Anhänge, von denen drei besonders interessant sind. Im ersten werden, ausgehend vom Index ac Status Causarum, den Pater Beaudoin 1975 herausgegeben hat, die Bestätigungen der Kulte aufgelistet, wobei einige Namen von Seligen hinzugefügt bzw. gestrichen werden, die nachträglich in den Heiligenkatalog aufgenommen worden waren. Im zweiten Anhang gibt es eine Liste derjenigen, die seit der Einrichtung der Ehrwürdigen Ritenkongregation seliggesprochen wurden, deren Kanonisierung aber noch aussteht. Im dritten Anhang werden schließlich die Heiligen aufgezählt, deren Angelegenheit von der Ehrwürdigen Ritenkongregation behandelt wurden, einschließlich der Fälle der gleichwertigen Kanonisierungen.
Mit dieser Namensliste wurden die im Werk Bibliotheca Sanctorum4 enthaltenen Biografien verglichen, um die Adelszugehörigkeit herauszufinden. Kardinal Pietro Palazzini, ehemaliger Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechung, hat dieses Werk geleitet, und es gilt als die vollständigste Aufzählung all derer, die seit den Anfängen der Kirche verehrt worden sind.
Da es nicht Hauptzweck der Bibliotheca Sanctorum ist, die gesellschaftliche Herkunft der erwähnten Personen anzugeben, sondern vielmehr mit der Verehrung zusammenhängende Probleme, ist es häufig aus Angabenmangel unmöglich, einen Adeligen von einem Nichtadeligen zu unterscheiden. Um klare Kriterien aufrechtzuerhalten, wurden außerdem aus Prinzip nur solche Adelige mitgezählt, von denen das Werk bestätigt, daß sie adelig oder adeliger Herkunft sind. Diejenigen, von denen der Text lediglich angibt, sie gehörten „wichtigen, bekannten, alten, mächtigen usw.“ Familien an, wurden nicht in die Liste aufgenommen. Man hat also lieber darauf verzichtet, Personen, deren adelige Herkunft ernsthaft zu vermuten oder auf dem Weg über andere Quellen mit Sicherheit feststellbar war, aufzunehmen, um Zweifelsfälle auszuschließen.
Außerdem erschien es geboten, um eine höhere Genauigkeit der Statistik zu erreichen, die nachstehenden Kategorien nach dem Index ac Status Causarum zu unterscheiden:
– die nach einem kanonischen Prozeß kanonisierten Heiligen;
– die nach einem kanonischen Prozeß seliggesprochenen Seligen;
– diejenigen, deren Kult bestätigt wurde;
– die Diener Gottes, deren Seligsprechungsprozeß noch nicht abgeschlossen ist.
Es wird nun die prozentuelle Verteilung auf diese Gruppen angegeben, wobei darauf geachtet wurde, in jeder Gruppe zu unterscheiden zwischen denen, die einer individuellen Prüfung unterzogen wurden und jenen, die einer Gruppe angehören, die in ihrer Gesamtheit im Zuge eines Prozesses beurteilt wurden, wie etwa die japanischen, englischen oder vietnamesischen Märtyrer.5
Um die Prozentanteile in diesen verschiedenen, statistischen Aufstellungen richtig beurteilen zu können, ist es wichtig, den Durchschnittsanteil der Adeligen an der Gesamtbevölkerung eines Landes zu kennen. Wir beschränken uns auf zwei Beispiele, die sowohl charakteristisch, als auch sehr verschieden sind.
Nach den Angaben des angesehenen österreichischen Geschichtswissenschaftler J. B. von Weiß, der sich dabei auf Angaben von Taine stützt, betrug der Anteil der Adeligen an der Gesamtbevölkerung Frankreichs vor der Französischen Revolution nicht einmal 1,5%.6
Seinerseits stellt G. Marinelli in seiner geographischen Arbeit La Terra7 unter bezug auf das Werk Das Russische Reich (Leipzig, 1880) von Peschel-Krümel, eine Statistik des russischen Adels zusammen, nach der diese Gesellschaftsklasse nicht mehr als 1,15 % der Gesamtbevölkerung ausmachte, selbst wenn man den Erb- und den persönlichen Adel zusammenzählt. In der gleichen Arbeit Marinellis lesen wir, daß Reclus im Jahre 1879 eine ähnliche Statistik erstellte, die zu einem Wert von 1,3 % kommt. Van Löhen gelangt 1881in gleicher Weise zu dem Resultat von 1,3%.
Offensichtlich zeigen diese Prozentsätze geringfügige Unterschiede, die sich aus zeitlichen und räumlichen Verschiebungen in der Erhebung ergeben, sie sind jedoch nicht sehr bedeutsam.
Die Daten, die wir vorher angeführt haben, zeigen, daß in jeder dieser Kategorien (Heilige, Selige, Bestätigung der Kulte und laufenden Prozesse) der Prozentanteil der Adeligen bedeutend höher ist, wie ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung eines Landes.8 Das straft die Äußerungen der Revolutionäre Lügen, die behaupten, daß die Zugehörigkeit zum Adel und die Lebensgewohnheiten dieser Klasse mit einem tugendhaften Verhalten unvereinbar seien.
HEILIGE |
Personen Adelige % |
Individuelle Prozesse 184 40 21,7 |
Gruppenprozesse (11) 364 12 3,3 |
Gesamt. 548 52 9,5 |
SELIGGESPROCHENE |
PERSONEN ADELIGE % |
Individuelle Prozesse 182 22 12,0 |
Gruppenprozesse (26) 1074 46 4,3 |
Gesamt 1256 68 5,4 |
BESTÄTIGUNG DES KULTES |
PERSONEN ADELIGE % |
Individuelle Prozesse 336 107 31,8 |
Gruppenprozesse (24) 1087 10 0,9 |
Gesamt 1423 117 8,2 |
LAUFENDE SEELIGSPRECHUNGSPROZESSE (1993) |
PERSONEN ADELIGE % |
Individuelle Prozesse 1331 149 11,2 |
Gruppenprozesse (146) 2671 13 0,5 |
Gesamt 4002 162 4,0 |
1. T. ORTOLAN, Stichwort Canonisation, in Dictionnaire de Théologie Catholique, Letouzey et Ane, Paris, 1923, Bd. II, Zweiter Teil, col. 1636.
2. Vgl. ANDRE VAUCHEZ, La Sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen Age, Ecole française de Rome, Palais Farnese, 1981; JOHN F. BRODERICK SJ, A Census of the Saints (993-1955) in The American Ecclesiastical Review, August 1956; PIERRE DELOOZ, Sociologie et Canonisations, Martinus Nijhoff, Den Haag, 1969; DANIEL RUIZ BUENO, Actas de los Martires, BAC, Madrid, 1951; Archives de Sociologie des Religions, veröffentlicht von der Gruppe Religionssoziologie, Editions du Centre National de la Recherche Scientifique, Paris, Januar-Juni 1962.
3. Congregatio pro Causis Sanctorum, Vatikanstadt, 1988, 556 Seiten.
4. Institut Johannes XXIII. der Päpstlichen Lateran-Universität, 12 Bände, (1960-1970); Anhang (1987).
5. Der Index ac Status Causarum gibt die genaue Anzahl der Personen nicht an, die in einigen dieser Rubriken überprüft werden, so daß es unmöglich ist, ihre genaue Anzahl anzugeben. Die so bezeichneten Zahlen der Statistik sind deshalb geschätzt.
6. siehe: Historia Universal, Bd. XV, T.I, Tipografia la Educacion, Barcelona, 1931, S. 212.
7. La Terra – Trattato popolare di Geografia Universale, Casa Editrice Francesco Vallardi, Milano, 7 Bd., 8450 Seiten.
8. Man beachte in den verschiedenen statistischen Aufstellungen, die bemerkenswerten Differenzen des Prozentanteiles der Adeligen bei den individuellen Seligsprechungsprozessen und den Gruppenprozessen. Das ist vor allem durch zwei Motive zu erklären: Zum einen nennt die Bibliotheca Sanctorum in vielen dieser Prozesse nur die Namen, ohne biographische Daten anzugeben, die es gestatten würden festzustellen, ob es sich um Adelige oder Bürgerliche handelt. Zum anderen beziehen sich die meisten Gruppenprozesse auf Gruppen von Märtyrern. Es war außerdem normal, daß die Verfolgungen die gesamt katholische Bevölkerung betrafen, ohne Ansehen des sozialen Standes, weshalb es nur natürlich ist, daß sich unter den Märtyrern eine ebenso große Anzahl Adeliger befand, wie es ihrem Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung entsprach.
Der Adel und die vergleichbaren traditionellen Eliten in den Ansprachen Pius’ XII. an das Patriziat und an den Adel von Rom von Plinio Corrêa de Oliveira, DOKUMENTE XII.