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Ist es mit der Heiligkeit unvereinbar, adelig zu sein und das Leben eines Adeligen zu f?hren?

Das heutige Unverständnis gegenüber dem Adel und analogen traditionellen Eliten rührt zum großen Teil von der geschickten, wenn auch völlig unsachlichen Propaganda her, welche die Franzö­sische Revolution gegen sie geführt hat.

Die ernsthafte Geschichtsschreibung hat mit wachsendem Erfolg jene Propaganda bekämpft, die während des 19. und 20. Jahrhunderts unauf­hörlich von ideologischen und politischen Nachfolgeströmungen der Französischen Revolution genährt und un­terhalten wurde. In gewissen Bereichen der Mei­nungsbildung jedoch besteht diese Propaganda auch noch weiterhin fort. Es ist daher nicht ganz unwichtig, wenn das vorliegende Werk sich dazu äußert.

Nach Meinung der Revolutionäre von 1789 bestand der Adel hauptsächlich aus Genießern des guten Lebens, welche ehrenvolle und bedeutende wirtschaftliche Privilegien innehatten, die es ihnen erlaubten, nach Herzenslust von den Verdiensten zu leben, die ihre fernen Vorfahren erworben hatten; daher konnten sie sich den Luxus leisten, ausschließlich die Freuden des irdischen Lebens auszukosten. Und, was noch schlimmer ist, besonders die Freuden der Muße und der Wollust.

Diese Klasse von Genießern sei außerdem in hohem Maße unerträglich für die Nation, zum Nachteil der armen Klassen, die nun ihrerseits zweifelsohne arbeitsam, ehrbar und dem Gemein­wohl nützlich seien.

Dies alles führt zu der Vorstellung, das einem Adeligen eigentümliche Leben mit all seinem ihm innewohnenden Glanz und seiner Verschwendung lade von selbst zu einer Haltung von moralischer Laxheit ein, grundverschieden von der Askese, welche die christlichen Prinzipien erforderten.

Ohne zu bestreiten, daß an dieser Version etwas Wahres dran ist, denn im Adel und in den entspre­chenden Eliten des auslaufenden 18. Jahrhun­derts hatten sich schon – als Vorläufer – Zeichen der schrecklichen moralischen Krise unserer heutigen Tage bemerkbar gemacht, muß doch betont werden, daß diese dem guten Ruf der adeligen Klasse schädliche Version weit mehr Falsches als Richtiges enthielt.

Dies beweist unter anderem die Geschichte der Kirche selbst durch die große Zahl der Adeligen, die auf die Ehre der Altare erhoben wurden. Auf diese Weise wird die heldenhafte Ausübung der Zehn Gebote sowie der evangelischen Räte durch die Adeligen bezeugt.

Von daher konnte der heilige Pierre Julien Eymard sagen, daß „die Annalen der Kirche zeigen, daß eine große Zahl der Heiligen – und deren die berühmtesten – ein Wappen aufwiesen, vornehmen Namen und Familie besaßen: einige waren sogar königlichen Blutes. 1

Verschiedene dieser Heiligen zogen sich aus der Welt zurück, um auf sicherem Wege die heldenhaf­te Tugend zu erlangen. Andere jedoch wie der Hl. König Ludwig von Frankreich und der Hl. König Ferdinand von Kastilien behielten ihre Lage unverändert bei und erreichten die Heldentugend, indem sie vollständig innerhalb der ihnen eigenen aristokratischen Standesbedingungen lebten.

Zur Vervollständigung der Richtigstellung jener Versionen, deren Absicht es ist, den Adel sowie die von ihm umfaßten Gewohnheiten und Lebensfor­men zu verleumden, wurde gelegentlich unter­sucht, wie hoch die Zahl der Adeligen unter den von der Kirche verehrten Heiligen war.

Es war indessen unmöglich, eine spezifische Forschungsarbeit diesbezüglich aufzufinden. Einige Forscher behandelten diese Frage, ohne jedoch darüber eine genaue und ausführliche Un­tersuchung angestellt zu haben. Ihre Berechnungen beruhen auf Listen, die sich als unvollständig her­ausgestellt haben.

der Heilige Ludwig IX. von Frankreich

Besondere Beachtung verdient eine Arbeit von Andre Vauchez, Professor der Universität Rouen, unter dem Titel La Sainteté en Occident aux der­niers siècles du Moyen Age,2 die auf den Heiligsprechungsprozessen und hagiografischen Urkunden des Mittelalters beruht.

Sie zeigt eine Statistik aller von Päpsten ange­ordneten Prozesse „de vita, miraculis et fama“ zwischen 1198 und 1431. Es handelt sich insge­samt um 71 Prozesse, von denen 35 zu dem Schluß gelangten, daß die von ihnen untersuchten Perso­nen verdienen, auf die Ehre der Altare gehoben zu werden.

Vauchez gibt folgende Statistik an:

Zwischen 1198 und 1431 angeordnete Prozesse zur Heiligsprechung (71 Fälle)
Adelige                            62,0%
Mittelschicht                      5,5%
Volk                                   8,4%
Unbekannte gesellschaftliche Herkunft                                        14,1
Von einem Papst des Mittelalters Heiliggesprochene (35 Fälle)
Adelige                            60,0%
Mittelschicht                    17,1%
Volk                                   8,6%
Unbekannte gesellschaftliche Herkunft                                        14,3%

Obwohl hochinteressant, können diese Angaben den Wunsch nach einem vollständigeren Bild nicht erfüllen, da sie sich auf eine sehr be­schränkte Personenzahl und auf einen relativ kurzen Zeitraum beziehen.

Damit stellt sich die Notwendigkeit einer Un­tersuchung, die – ohne allerdings das Thema damit zu erschöpfen – einen größeren Personen­kreis sowie eine weitere Zeitspanne umfassen müßte.

Einer solchen Aufgabe haben sich nun jedoch einige beträchtliche Schwierigkeiten entgegenge­stellt.

Vor allem die Tatsache, daß es eine offizielle Liste der von der Katholischen Kirche verehrten Heiligen nicht gibt.

Dies ist eine allerdings sehr verständliche Schwierigkeit, denn das Nichtvorhandensein einer solchen Liste steht im Zusammenhang mit der Kir­chengeschichte selbst und mit der fortschreitenden Vervollständigung ihrer Institutionen.

der Heilige Edith Stein

Der Heiligenkult hatte in der Katholischen Kirche mit der Verehrung der Märtyrer begonnen. Die örtli­chen Gemeinden ehrten einige ihrer Mitglieder, die Opfer von Verfolgungen geworden waren.

Von den Tausenden jener, die in den ersten Jahrhunderten der Kirche zum Zeugnis des Glau­bens ihr Blut vergossen hatten, sind uns lediglich ein paar hundert Namen überliefert, sei es aus den Gerichtsakten – von den Heiden verfaßt –, welche die mündlichen Prozesse aufgezeichnet haben, sei es aus Augenzeugenberichten der Märtyrer.

Neben der Tatsache, daß Unterlagen dieser Art in bezug auf alle Märtyrer fehlen, wurden viele dieser Gerichtsakten – deren Lesung die Seelen der ersten Christen entflammte und ihnen ein Bei­spiel zum Ertragen neuer Drangsalierungen gab ­- während der verschiedenen Verfolgungen, beson­ders unter Dioklezian, zerstört.3

Daher ist es schließlich unmöglich, all jene Märtyrer zu kennen, die in den ersten Jahrhunder­ten der Kirche Objekt der Verehrung von Seiten der Gläubigen gewesen waren.

Kaiser Heinrich II. und seine Frau Kunigunde.

Mit dem Ende der Verfolgungen und über einen langen Zeitraum hinweg wurden die Heiligen von beschränkten Gruppen von Gläubigen verehrt, ohne vorherige Untersuchung und ohne das Urteil einer kirchlichen Autorität.

Mit erhöhter Beteiligung der Autoritäten bei der Organisierung katholischer Gemeinden wuchs spä­terhin auch die Rolle dieser Autoritäten bei der Auswahl der Verehrungswürdigen. Die Bischöfe gingen dazu über, die Errichtung eines bestimmten Kultes zu gestatten und häufig auf Bitten der Gläubigen hin zu bestätigen, indem sie die Reliquien eines treuen Heiligen aushoben und überführten.

Erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts fing der Papst an, gelegentlich in die offizielle Heiligspre­chung einzugreifen. In dem Maße, in dem die Macht der römischen Päpste sich festigte und die Kontakte mit ihnen häufiger wurden, gingen die Bischöfe dazu über, den Papst um Bestätigung des Kultes zu bitten, was zum ersten Male im Jahre 993 vorkam.

der Heilige Bonifatius

Später, im Jahre 1234, machen die Verordnun­gen die Inanspruchnahme des Heiligen Stuhls erforderlich und reservieren dem Papst das Recht auf Heiligsprechung.

Zwischen diesen beiden Zeitpunkten jedoch gehen viele Bischöfe bei der Reliquienüberführung und der Bestätigung des Kultes nach den bisherigen Sitten vor.

Ab 1234 werden die Prozesse zur Bestimmung der Heiligenverehrung Schritt für Schritt vervoll­kommnet.

Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts gründet sich die päpstliche Entscheidung auf eine Vorentscheidung, die von einem Kollegium durchgeführt wurde, das aus drei für diesen Zweck besonders beauftragten Kardinälen besteht. Und bei dieser Form blieb es bis 1588, wo die Prozesse der Kongrega­tion für Riten übergeben und anvertraut wurden, die im Jahr vorher von Papst Sixtus V gegründet worden waren.

Im 17. Jahrhundert erreichte diese Entwick­lung ihren Abschluß.

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1 Mois de Saint Joseph, le premier et le plus parfait des adorateurs – Extrait des écrits du P. Eymard,  Desclée de Brouwer, Paris, 7. Ausgabe, S. 62.

2 Ecole française de Rome, Palais Farnese, 1981, 765 Seiten.

3 Vgl. DANIEL RUIZ BUENO, Actas de los Martires. BAC, Madrid, 1951.

 

­Der Adel und die vergleichbaren traditionellen Eliten in den Ansprachen Pius’ XII. an das Patriziat und an den Adel von Rom von Plinio Corrêa de Oliveira, DOKUMENTE XII.

 

Fortsetzung folgt

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