Die Huldigung Eurer Ergebenheit und Eurer Treue sowie die Glückwünsche, die Ihr, geliebte Söhne und Töchter, jedes Jahr nach alter Sitte Uns darzubringen kommt und die durch Euren hohen Sprecher so glücklich zum Ausdruck gebracht wurden, sind Unserem Herzen stets mit Freude willkommen. Sie pflegen naturgemäß die Gedanken und Besorgnisse widerzuspiegeln, die in verschiedenem Maße die Herzen erregen angesichts der veränderlichen Zeitverhältnisse. Nach den Schrecken des Krieges, nach dem unsäglichen Elend, das daraus folgte, und den Ängsten, die mit dem Aufhören der Feindseligkeiten verknüpft waren, das man nicht Frieden nennen konnte und auch kein Friede war, haben Wir zu Euch mehr als einmal bei dieser Gelegenheit über die Aufgabe und die Pflichten des Adels gesprochen angesichts der Vorbereitung eines neuen Standes der Dinge in der Welt und in besonderer Weise in Eurem so sehr geliebten Vaterland. Vollständige Unsicherheit war damals das kennzeichnende Merkmal. Man ging ganz und gar im Dunkeln: die Gedanken und die Kundgebungen des Volkswillens wechselten unaufhörlich ihre Gestalt. Was wird wohl dabei herauskommen? Niemand hätte das mit einiger Gewißheit voraussagen können.
Inzwischen hat die Weltbühne im eben verflossenen Jahre unserem Auge ein Schauspiel dargeboten, von dem man wahrlich nicht sagen könnte, es hätte bei ihm an Aktivität, Bewegung und Überraschungen gefehlt. Was aber wirklich fehlte, war – wie in den vergangenen Jahren – die Erreichung von Lösungen, welche die Gemüter ruhig aufatmen ließen, endgültig die Verhältnisse des öffentlichen Lebens klarstellen, den Weg in die Zukunft weisen würden, wäre er auch mühsam und beschwerlich. So dauert denn – abgesehen von einigen bemerkenswerten Fortschritten, die hoffentlich von Dauer sind – die Ungewißheit weiter als vorherrschendes Gepräge der Gegenwart nicht allein in den internationalen Beziehungen, wo man ungeduldig wenigstens erträgliche Friedensschlüsse erwartet, sondern auch in der innern Ordnung der einzelnen Staaten. Auch hier vermag man noch nicht mit einiger Sicherheit vorauszusagen, was das endgültige Ergebnis der Auseinandersetzung oder des Zusammenpralls der verschiedenen Strebungen und Kräfte und vor allem der verschiedenen und gegensätzlichen Lehren im religiösen, gesellschaftlichen und politischen Bereich sein wird.
Weniger schwer ist es hingegen heute, unter den verschiedenen Möglichkeiten, die sich Euch darbieten, Eure Haltung zu bestimmen, die Ihr einzunehmen habt.
Die erste dieser Möglichkeiten ist unannehmbar: sie ist jene des Deserteurs, desjenigen, der mit Recht der „Emigré à 1’intérieur“ [Auswanderer ins Innere] genannt wurde. Es ist die Ablehnung des Verbitterten oder Verärgerten, der aus Verachtung oder Entmutigung von seinen Fähigkeiten und Energien keinerlei Gebrauch macht, in keiner Weise am Leben seines Landes und seiner Zeit teilnimmt, sondern sich zurückzieht – wie der Pelide Achilles in sein Zelt, in die Nähe der schnellen Schiffe, fern vom Kampfgefilde –, während die Geschicke des Vaterlandes auf dem Spiele stehen.
Noch unwürdiger ist die Ablehnung, wenn sie aus einer trägen und untätigen Gleichgültigkeit hervorgeht. Schlimmer in der Tat als schlechte Laune, als Verachtung und Entmutigung wäre die Gleichgültigkeit angesichts des Zusammenbruchs, dem die eigenen Brüder und das eigene Volk verfallen müßten. Vergeblich würde sie versuchen, sich unter der Maske der Neutralität zu verstecken: ist sie doch keineswegs neutral, sie ist gewollt oder nicht Komplize! Jede der leichten Schneeflocken, die so sanft an den Berghängen liegen und sie mit ihrem Weiß schmücken, hilft mit, wenn sie sich passiv mitreißen läßt, aus der kleinen Masse Schnee, die sich vom Gipfel losgelöst hat, die Lawine zu bilden, die das Unglück in das Tal hinunterbringt und dort die friedlichen Heimstätten zerschlägt und begräbt. Nur der starke Block, der mit dem Grundgestein fest zusammenhängt, setzt der Lawine einen siegreichen Widerstand entgegen und vermag ihren Zerstörungslauf aufzuhalten oder wenigstens zu zügeln.
Dergestalt bleibt nur der gerechte und in seinen Absichten wohlgesinnte Mensch, von dem Horaz in einer berühmten Ode spricht [Carm.III,3], nur der Mensch, der sich von seinem unverrückbaren Denken weder durch den Aufruhr der Bürger, die verbrecherische Befehle geben, noch durch das finstere Gesicht des dräuenden Tyrannen abbringen läßt, [der unerschrocken bleibt, auch wenn das Weltall in Trümmern über ihn fallen sollte]: „si fractus illabatur orbis, impavidum feriunt ruinae“. Ist aber dieser gerechte und starkmütige Mensch ein Christ, dann wird er sich nicht begnügen, mitten in den Ruinen aufrecht und ohne Gefühl zu stehen. Er wird sich vielmehr verpflichtet fühlen, dem Zusammenbruch Widerstand zu leisten und ihn zu verhindern oder wenigstens seine Schäden zu begrenzen. Kann er das Zerstörungswerk nicht eindämmen, so wird er immerhin noch da sein, um das niedergerissene Gebäude wieder aufzubauen und das verwüstete Feld wieder anzusäen. So muß Eure Haltung sein. Sie besteht darin – ohne daß Ihr deswegen auf die Freiheit Eurer Überzeugungen und Euer Urteil über den Wandel der menschlichen Dinge verzichten müßtet –, die gegebenen Verhältnisse so zu nehmen, wie sie sind, ihre Kräfte zum Guten zu lenken, nicht nur für eine Klasse, sondern für die ganze Gemeinschaft.
Dieses Gemeinwohl, d.h. die Verwirklichung normaler und stabiler staatlicher Verhältnisse, in denen sowohl der einzelne wie die Familien mit dem rechten Einsatz ihrer Kräfte ohne Schwierigkeiten ein würdiges, geregeltes und glückliches Leben nach dem Gesetze Gottes führen können, bildet den Zweck und das oberste Gesetz des Staates und seiner Organe.
Die Menschen, sowohl im einzelnen wie in der menschlichen Gemeinschaft, und ihr Gemeinwohl sind immer gebunden an die absolute Ordnung der Werte, die Gott aufgestellt hat. Gerade zum Zweck, diese Bindung in einer der Menschennatur würdigen Art und Weise zu verwirklichen und wirksam zu machen, ist dem Menschen die persönliche Freiheit geschenkt worden, und der Schutz dieser Freiheit ist der Zweck einer jeden Rechtsordnung, die diesen Namen verdient. Daraus folgt aber auch, daß es keine Freiheit und kein Recht geben kann, diese absolute Ordnung der Werte zu verletzen. Man würde sie deshalb verletzen und die Verteidigung der öffentlichen Sittlichkeit, die zweifellos ein hervorragendes Element für die Aufrechterhaltung des Gemeinwohls von seiten des Staates ist, aus den Angeln heben, wenn z.B. ohne Rücksicht auf diese höchste Ordnung eine bedingungslose Presse- und Filmfreiheit gewährt würde. In diesem Fall hätte man nicht das Recht auf wahre und echte Freiheit anerkannt, sondern nur die Zügellosigkeit legalisiert, wenn man der Presse und dem Film erlauben wollte, die religiös-sittlichen Grundlagen des Volkslebens zu untergraben. Um einen solchen Grundsatz zu begreifen und zuzugeben, braucht man nicht einmal Christ zu sein. Es genügt hierfür der von den Leidenschaften ungestörte Gebrauch der Vernunft und des gesunden sittlichen und rechtlichen Empfindens.
Es ist wohl möglich, daß einige schwerwiegende Ereignisse im Verlaufe des verflossenen Jahres ein schmerzliches Echo im Herzen von nicht wenigen unter Euch hervorgerufen haben. Wer aber vom Reichtum des christlichen Gedankens lebt, läßt sich von den menschlichen Ereignissen nicht niederdrücken und aus der Fassung bringen, mögen sie auch sein wie immer, sondern wendet den Blick mutig auf das, was geblieben ist und was doch noch sehr viel ist und sehr würdig seiner Beachtung. Geblieben ist die Heimat und das Volk, ist der Staat, dessen höchstes Ziel das wahre Wohl aller ist und dessen Aufgabe das Zusammenwirken aller erfordert, wobei jeder Bürger seinen Arbeitsplatz erhält. Es gibt Millionen aufrechter Seelen, welche dieses Gemeinwohl im Lichte Gottes sehen möchten und es zu fördern trachten gemäß der unvergänglichen Weisung seines Gesetzes.
Italien steht im Begriff, sich eine neue Verfassung zu geben. Wer könnte die grundlegende Bedeutung eines solchen Unternehmens verkennen? Was das Lebensprinzip im lebenden Körper ist, das bedeutet die Verfassung im sozialen Organismus, dessen wirtschaftliche und auch sittliche Entwicklung engstens durch sie bedingt wird. Wenn daher irgendjemand sein Auge unverwandt auf die von Gott gesetzten Ordnungen richten muß, wenn irgendjemand die Pflicht hat, beständig das wahre Wohl aller vor Augen zu halten, dann sind es gewiß jene, denen das große Werk anvertraut ist, eine Verfassung auszuarbeiten.
Was nützen aber andererseits die besten Gesetze, wenn sie toter Buchstabe bleiben würden? Ihre Wirksamkeit hängt zum großen Teil von denen ab, die sie anwenden müssen. In den Händen von Menschen, die nicht von ihrem Geist beseelt sind, die innerlich vielleicht ganz anders denken, als die Gesetze verfügen, oder die geistig und sittlich nicht fähig sind, sie in die Tat umzusetzen, verliert auch die vollkommenste gesetzgeberische Arbeit viel von ihrem Wert. Eine gute Verfassung ist zweifellos von sehr hoher Bedeutung. Was aber ein Staat unbedingt braucht, sind zuständige und erfahrene Männer in Politik und Verwaltung, die sich, geführt von klaren und gesunden Grundsätzen, mit allen Kräften für das größere Wohl der Nation einsetzen.
Darum ruft die Stimme Eurer Heimat, erschüttert von den schweren Umwälzungen der letzten Jahre, alle aufrichtigen Männer und Frauen, in deren Familien und Personen das Beste an Geisteskraft, sittlicher Energie, gelebter und stets lebendiger Tradition des Landes ruht, zur Mitarbeit auf. Diese Stimme beschwört sie, sich zur Verfügung des Staates zu stellen, mit aller Kraft ihrer innersten Überzeugungen, und für das Wohl des Volkes zu arbeiten.
So öffnet sich auch für Euch der Weg in die Zukunft.
Wir haben vergangenes Jahre bei dieser selben Gelegenheit gezeigt, wie auch in den Demokratien jüngsten Datums, die noch keine Spur einer feudalen Vergangenheit aufweisen können, sich kraft der Verhältnisse eine neue Art von Adel oder Aristokratie herausgebildet hat. Sie besteht in der Gemeinschaft jener Familien, die überlieferungsgemäß alle ihre Energien in den Dienst des Staates, seiner Regierung und seiner Verwaltung stellen und mit deren Treue er in jedem Augenblicke rechnen kann.
Eure Aufgabe ist deshalb nicht im entferntesten negativ. Sie setzt bei Euch viel Studium, viel Arbeit, viel Selbstverleugnung und vor allem viel Liebe voraus. Sie hat trotz der raschen Entwicklung der Zeiten ihren Wert nicht verloren, ist nicht abgeschlossen. Sie verlangt von Euch ebenfalls – und das muß das Besondere Eurer traditionellen Familienerziehung sein – das Feingefühl und den Willen – ein heute sehr oft schweres und hartes Vorrecht –, Euren Stand nur dazu auszunützen, um zu dienen.
Geht deshalb, geliebte Söhne und Töchter, mit Mut und demütigem Stolz der Zukunft entgegen. Eure soziale Aufgabe ist zwar neu in der Form, doch im wesentlichen dieselbe wie in Euren vergangenen Zeiten größeren Glanzes. Sollte sie Euch einmal schwierig, mühsam und vielleicht sogar nicht frei von Enttäuschungen erscheinen, dann vergeßt nicht, daß die Vorsehung Gottes, die sie Euch anvertraut hat, Euch gleichzeitig die nötige Kraft und Hilfe gewähren wird, um sie würdig zu erfüllen. Diese Hilfe erbitten Wir Euch von Gott, der Mensch wurde, um die menschliche Gesellschaft aus ihrem Verfall wieder aufzurichten und die neue Gesellschaft auf ein Fundament zu stellen, das nicht wankt, da er selbst der Eckstein des Gebäudes ist und er es von Geschlecht zu Geschlecht immer wieder erneuert. Indes erteilen Wir als Unterpfand der auserlesensten himmlischen Gnaden, mit väterlicher Liebe Euch, Euren Familien, allen Personen, die Eurem Herzen teuer sind, Nahen und Fernen, und in besonderer Weise Eurer lieben Jugend, Unseren Apostolischen Segen.[1]
[1] Utz-Groner, S. 1640-1646.
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